Warum weinst du?

Dann gingen die Jünger wieder nach Hause. Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatte. Die Engel sagten zu ihr: „Frau, warum weinst du?“ Sie antwortete ihnen: „Man hat meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat.“ Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zur ihr: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie meinte, es sei der Gärtner und sagte zu ihm: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann werde ich ihn holen.“ Jesus sagte zu ihr: „Maria!“ Da erkannte sie ihn und sagte auf hebräisch zu ihm: „Rabbuni!“, das heißt Meister. Jesus sagte zu ihr: „Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, meinem Gott und zu eurem Gott.“ Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte. (Joh 20, 10-18)
Nach dem Schweigen des Karsamstags sind die ersten Worte des Auferstandenen im Ostergarten: „Warum weinst du? Wen suchst du?“ Diese Frage ist geradezu eine Definition des Menschen: Wir alle sind wie Maria aus Magdala (und wie die beiden ersten Jünger, die den Täufer Johannes verlassen haben, s. Joh 1, 38) Suchende, voller Sehnsucht.Maria trauert um Jesus und weil sie ihn vermisst, macht sie sich auf den Weg. Sie verlässt ihr Haus, als es noch dunkel ist, draußen und in ihrem Herzen.
„Warum weinst du?“ Jesus zeigt sich von seiner typischen und einmaligen Seite. Zuerst ist sein Blick stets auf das Leiden, auf die Not und Bedürfnisse eines Menschen gerichtet, nicht etwa auf seine Sünden. „Frau, warum weinst du?“ Anstelle der Anrede „Frau“ kann ich auch meinen Namen einsetzen, und anstelle meines Namens das Wort „Menschheit“. Der Auferstandene spricht mich ganz persönlich an. Und er spricht zu uns allen: Menschheit, warum weinst du?
Immer noch ist die Welt voller Tränen. Um uns herum, in uns. Aber Gott ist da und will, dass daraus neues Leben hervorgeht. Auf Golgotha hat er sein österliches Leben in die Welt gebracht und der Menschheit eine bis dato noch nie gekannte Hoffnung geschenkt: ewiges Leben in Christus Jesus. Die „himmlischen Archive“ sind nicht gefüllt mit den Sünden der Menschen; vielmehr werden dort ihre Tränen aufbewahrt. Gott sammelt dieTränen (vgl. Ps 56, 9). Jede Träne ist gezählt. Und am Jüngsten Tag wird er sorgsam Acht geben, dass er jede einzelne auf dem Gesicht seiner Kinder trocknet.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes und fröhliches Osterfest.
Pfarrer Tuan Anh Le